Verachtet, vergessen, verehrt: Marieluise Fleißer, eine der wichtigen Dramatikerinnen deutscher Sprache.

Marieluise Fleißer. BILD: SN/STADT INGOLSTADT, ZENTRUM STADTGESCHICHTE
Diese Frau machte es niemandem leicht. Ihren Zeitgenossen nicht, sich selbst nicht - und auch der Nachwelt nicht. Die Schriftstellerin Marieluise Fleißer, geboren 1901, hievte unbequeme Wahrheiten ins Licht. Damit macht man sich Feinde. Und das gilt nicht nur für Ingolstadt, ihren Geburtsort, wo sie insgesamt sechzig Jahre lebte.
„Eine kleine Stadt ist etwas Zauberhaftes, wenn sich der Kreislauf in die Natur hinaus öffnet und die Enge plötzlich Landschaft und vielfältige Weite wird", sagt sie einmal. Aber es ist eben auch der Ort, an dem sich das Leben und seine Abgründigkeiten zu mächtiger Literatur verdichten lassen.
In ihren beiden bekanntesten Stücken, „Fegefeuer in Ingolstadt“ und „Pioniere in Ingolstadt", - aber auch in mehreren Erzählungen und dem Roman „Eine Zierde für den Verein" - schuf Marieluise Fleißer ab Mitte der 1920er-Jahre nicht so sehr ein Porträt ihrer Heimatstadt als vielmehr einen Kosmos katholischer Provinz aus der Sicht einer jungen, „verlorenen“ Nachkriegsgeneration. Und Fleißer tat es mit einer Sprache, die deutlich und eindeutig ist - und die nahe an den Menschen ist, von denen sie erzählt.
1929 wurde ihr Stück „Pioniere in Ingolstadt" in Berlin erstmals aufgeführt - und es war eine der großen Aufregungen der deutschen Theatergeschichte. Bert Brecht, mit dem Fleißer liiert war, hatte das Stück bearbeitet und verschärft. Wegen der radikalen Sprache und einiger drastischer Liebesszenen wurde die Autorin, die sich mit dem Stück nicht mehr identifizierte, in ihrer Heimatstadt scharf angegriffen. Über die Aufregung und Diffamierung nach der Inszenierung schrieb Marieluise Fleißer an den Oberbürgermeister: „Warum ich ein Stück über Ingolstadt schrieb? Weil ich in Gottesnamen die Menschen da unten mit ihren tausend Schwierigkeiten liebe."
Fleißer ging in Regensburg in die Schule, studierte in München und verbrachte mit Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger einige Jahre in Berlin. Doch ihr Geburtsort blieb ihr wichtig. Diese Zerrissenheit, die sie zu diesem Ort fühlte, setzte sich in ihrem Leben fort.
Dem frühen Ruhm folgte der Absturz. Sie arbeitete im Tabakladen ihres Ehemannes. Die Nazis hatten ihre Texte 1935 auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums" gesetzt.
Erst in den 1960er-Jahren begann Fleißer wieder zu schreiben. Ihr Werk kam aber erst in den 1970er-Jahren nochmals zu Anerkennung. Rainer Werner Fassbinder, Franz Xaver Kroetz und Martin Sperr sahen in ihr ein Vorbild. Fassbinder widmete ihr 1969 seinen Film „Katzelmacher“. Kroetz sagte einmal: „Ich glaube nicht, daß ich ohne die Fleißer-Renaissance bekannt geworden wäre." Herbert Achternbusch lobt Fleißer: „Die hat schreib'n können, anders als der Brecht. Der hat ja immer Denk'n und Schreib'n verwechselt." Elfriede Jelinek sagt, dass Marieluise Fleißer die „größte Dramatikerin des 20. Jahrhunderts" sei.
Marieluise Fleißer starb 1974. 48 Jahre später ist es höchste Zeit, dass sie auch bei den Salzburger Festspielen aufgeführt wird. BERNHARD FLIEHER