Salzburger Festspiele 2022

Kinder gehen durch die Hölle

„Die Zauberflöte". Lydia Steier hat an ihrer Inszenierung von 2018 gefeilt und setzt Mozarts Oper an neuem Spielort in Szene.

„Traum aus der Fantasie der Kinder": Regisseurin Lydia Steier auf der Bühne der „Zauberflöte" im Haus für Mozart.BILD: SN/NEUMAYR/ BIRGIT PROBST

Für den Festspielsommer 2018 hat die amerikanische Regisseurin Lydia Steier Mozarts „Zauberflöte“ inszeniert als eine Parabel auf das Erwachsen werden. Die weltweiten Veränderungen in diesen vier Jahren zu erwähnen ist obsolet. Verändert hat sich die nun neu einstudierte Produktion nicht so sehr durch Corona oder den Krieg in der Ukraine, sondern vor allem, weil die Oper nun nicht mehr im Großen Festspielhaus, sondern im Haus für Mozart aufgeführt wird. „Das ist der passende Spielort“, sagt Lydia Steier, „wir können die Geschichte nun viel fokussierter erzählen.“

Vor vier Jahren hat sie einen Großvater erfunden, der seinen drei Enkeln, die später die Drei Knaben sein werden, diese Geschichte erzählt und sie zum Mitspielen animiert. Nun ist diese Partie mit Roland Koch besetzt, der seinen Part mit etwas anderen Schwerpunkten anlegt: Der Großvater wird zum einen zum "Strippenzieher", zum anderen erlebt er eine Geschichte, es werden Erinnerungen an seine Jugend geweckt.

Erinnerungen werden wach

„Der Großvater erkennt sich im Verlauf der Geschichte in Tamino wieder", erläutert Lydia Steier. "Ein großes Bild im Wohnzimmer der Familie zeigt seine verstorbene Frau - sie wird zu Pamina. In der Bildnisarie wird es animiert und löst im Großvater die Erinnerungen an seine Liebe aus. Wir erleben, dass der Großvater diesen Verlust verarbeitet, während er den Enkeln von Liebe, Pflicht und Krieg erzählt. Die Kinder lernen, was es heißt, ein Mann zu werden, dass Verlust auch zum Leben gehört. Diese Pamina-Figur löst beim Großvater Nostalgie und Schmerz aus, was die Kinder nicht ganz verstehen. Es ist wie bei einem Prisma, das sich dreht und den Kindern und dem Großvater andere Bilder, eine andere Geschichte, zeigt. Im Idealfall verflechten sich Erinnerungen des Großvaters und die Fantasien der Kinder zu einer einzigen Erzählung. Das lässt sich auf der kleineren Bühne im Haus für Mozart viel konzentrierter erzählen."

Völlig neu gebaut wurde das Bühnenbild, das Wohnhaus der Familie ist der einzige Spielort, das Haus kann sich drehen wie ein Labyrinth, es wirkt ein wenig wie aus „Alice im Wunderland", sagt Steier. Der Zirkus spielt nun keine Rolle mehr, die bunten Szenen sind eher vom Anfang des Stummfilms nach Art des Filmpioniers Georges Méliès inspiriert, sie wirken wie ein bunter Traum, der aus der Fantasie der Kinder geboren , sie koppeln „Die Zauberflöte" mit ihrem Alltag, sodass aus den drei Zofen im Haus zum Beispiel die Drei Damen werden oder Papageno dem jungen Mann gleicht, der die Hühner liefert.

Geschichten lauern hinter Türen

Im zweiten Teil der Oper wird das Stiegenhaus der „Zauberflöte"-Familie wichtig, es sieht aus wie ein surreales Labyrinth mit vielen Türen, das an die Grafiken von M. C. Escher erinnert. Hinter jeder Tür lauert eine andere Geschichte, eine verpasste Gelegenheit oder eben eine genutzte Chance. Der Militarismus wird zunehmend wichtiger, denn der Großvater hat als "Mann im Haus" sich in seiner Jugend mit Kämpfen und Politik beschäftigt und die Familie darüber vielleicht ein bisschen vernachlässigt.

„Wir thematisieren auch den Patriotismus, den Gedanken, dass wir selbst gut sind, dass wir uns und unseren Glauben verteidigen. Man erkennt aber nach und nach, dass eine tödliche Verletzung jedenfalls tödlich ist, welche Ideologie auch dahintersteckt. Jeder Mensch hat eine Mutter, hat Menschen, die ihn lieben und nach seinem Tod um ihn trauern werden. Wir nehmen darauf Bezug, wie sinnlos Krieg ist.“

... also lag am Rande das höllische Ungeheuer hingestreckt ...
Dante, „Hölle“, 17. Gesang

Bereits vor vier Jahren hat Lydia Steier Bilder des Krieges in ihre „Zauberflöte“-Inszenierung eingebaut, ab der Feuer- und Wasserprobe scheinen Tod und Untergang jederzeit möglich. 2018 waren das Szenen aus der Vergangenheit, seit einigen Wochen sehen wir sie in jeder Nachrichtensendung. „Als wir die Bühne neu konzipiert haben, gab es in der Ukraine noch keinen Krieg, wir konnten also mit der Ausstattung darauf nicht mehr reagieren. 2018 haben wir zwar etwas gespürt, das uns ahnen ließ, es könnte wieder Konflikte geben. Aber, die Balkankriege ausgenommen, waren wir in Europa seit 1945 in einer friedlichen Situation. Man hätte denken können, dass es so weitergehen würde. Doch es war keine Zeit nach dem Krieg, sondern nur zwischen den Kriegen. Nun ist die Bedrohung real, nicht länger nur als Warnung spürbar.“

Für eine „Zauberflöte“-Inszenierung scheinen Kriegsbilder fast eine Zumutung, gilt Mozarts Oper doch traditionell als ein Werk auch für Kinder. 

Dass sich auch Kinder den schrecklichen Erfahrungen des Lebens stellen müssen, ist für die Regisseurin eine spezielle Herausforderung ihrer Arbeit: „,Die Zauberflöte‘ handelt auch davon, wie wir schreckliche Dinge wahrnehmen, Konflikte, Krieg und Gewalt. Es ist jetzt noch wichtiger zu zeigen, dass Konflikte unausweichlich sind. Ich selbst bin in den letzten vier Jahren Mutter geworden, ich denke also auch anders darüber nach, wie man Kindern erklärt, was ein Massengrab ist oder jene Videos, in denen Extremisten Menschen köpfen. Wie ist es überhaupt möglich, das ganze Elend erträglich zu machen. Wie toll ist es, mit der Hilfe von Märchen, Fantasie und Musik das Grauen verständlich zu machen. Zu sagen: Es gibt Brutalität, aber auch Schönheit. Leider existiert das manchmal nebeneinander, wie eben jetzt.“

„Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“: Die Königin der Nacht empfindet den Verlust von Macht und von ihrer Tochter als Hölle, wie aber ist das mit den anderen Mitgliedern dieser Familie, die sich auch mit bedrückenden Ereignissen auseinandersetzen müssen? Kann man sagen, dass die ganze Familie „durch die Hölle geht“? Lydia Steier ist überzeugt, dass die drei Buben auf jeden Fall eine harte Lebenslehre erfahren, sie gehen ja auch mit Tamino und Pamina durch „die Hölle“, durch die Feuer- und Wasserprobe. Lydia Steier hat keine Scheu davor, in einer gemeinhin als Unterhaltung konsumierbaren Oper Konflikte aufzuspüren. „Ich habe immer das Problem, dass Sarastro ausschließlich als gut und die Königin der Nacht als schlecht gezeichnet wird. Deswegen ist es für mich wichtig, dass die Oper in einer Familie spielt, wo es absolutes Gut und Schlecht, Schwarz und Weiß, nicht gibt, sondern nur verschiedene Schattierungen von Grau. Ich wollte nicht, dass helle Sonnenmenschen, die Eingeweihten, gewinnen und dass das Dunkle verbannt wird. Es gibt in dieser Welt kein Dunkel und kein Hell, es gibt nicht Himmel und Hölle, es gibt nur das Purgatorium, die eklige Mitte, wo nichts klar, aber alles kompliziert und schmerzvoll ist. Man soll Mitleid haben mit der Königin der Nacht, man soll aber auch skeptisch sein gegenüber Sarastro und seinen Dogmen. Es ist alles nicht so einfach und klar, wie man denkt.“

Das Purgatorium regt an

Himmel, Hölle, Purgatorium – war Dante mit seiner „Göttlichen Komödie“ also auch eine Quelle der Inspiration? „Angeregt hat mich im Purgatorium die Schilderung jener Menschen, die gleich unter der Oberfläche sind, ein riesiger Ozean, eigentlich sind das gute Menschen, die nicht in den Himmel kommen, aber auch nicht nach unten in die Hölle geschmissen werden. Sie liegen da, mit den Gesichtern knapp unter der Oberfläche, und strecken ihre Hände hoch. Es gibt auch Szenen aus Filmen, zum Beispiel den ,Weinenden Baum‘ aus dem Film ,Hinter dem Horizont‘, die mich inspiriert haben. Ich wollte auf jeden Fall vermeiden, einen schönen, konfliktfreien Ort zu zeigen. Die drei Enkel werden nach dieser Erzählung nicht mehr die gleichen sein, denn man hat sich verändert, wenn man erfahren hat, was Menschen einander zumuten und antun können. Auf jeden Fall ist diese ,Zauberflöte‘ keine Gutenachtgeschichte, nach der man beruhigt einschlafen kann.“ Eva Halus

Oper: „Die Zauberflöte“ von Wolfgang Amadé Mozart. Haus für Mozart, Premiere am 30. Juli..