Salzburger Festspiele 2022

Was hilft es, etwas zu opfern?

Disputationes. Beatrix Mayrhofer, Präsidentin der Frauenorden Österreichs, kennt die Wirkungen eines Opfers.

„Die Hölle ist eine Möglichkeit", sagt die Ordensfrau Beatrix Mayrhofer. BILD: SN/GÜNTHER PICHLKOSTNER / FIRST LOOK / PICTUREDESK.COM

SN: Wie haben Sie zuletzt ein Opfer gebracht?
Beatrix Mayrhofer:
Ich versuche bereit zu sein, wenn ein Mensch etwas braucht. Sollte ich einmal keine Zeit haben, sage ich: Nein, jetzt ist dieser Mensch wichtig, jetzt nehm ich mir Zeit - für den Anruf, für eine Notsituation. Oder manchmal hätte ich Gusto auf dies oder das, aber ich sag: Nein, heute nicht!

Das sind kleine Dinge. Etwas Großes ist: meinen Dienst in der Leitung (Provinzoberin der Armen Schulschwestern sowie Präsidentin der Frauenorden Österreichs, Anm.) ernst zu nehmen und zu tun, was jeden Tag dafür gefordert ist. Oder: Wenn andere sagen „Jetzt fahr ich auf Urlaub", denk ich: Nein, meinen Dienst in der Leitung nehme ich an.

SN: Warum ist das ein Opfer?

Weil ich etwas von mir hergebe, weil ich etwas tue, was mir im Moment schwerfällt, weil ich bewusst sage: Nein, da setze ich mich ein. Dabei muss ich sagen: Materielles geben kann ich selbst ja nichts mehr, das machen wir nur als Ordensgemeinschaft. Denn ich habe schon alles hergegeben, indem ich mich entschieden habe, nach dem Gelübde der Armut zu leben. Allerdings kann ich meine Zeit hergeben, meine Talente, meinen Einsatz. Das ist meine Form von Opfer.

SN: Opfer ist auch etwas Passives, wenn einem unausweichlich etwas Schlimmes widerfährt - als Kriegsopfer oder Verbrechensopfer. Dann ist man der Freiheit zur Tat beraubt.

Ein Opfer kann oder muss man erleiden, oder man kann ein Opfer bringen. Das kommt darauf an, welchen Begriff ich verwende. Ich bin ein Opfer, wenn ich als Ordensfrau Missachtung und Spott ertragen muss; dieses Opfer ist mir auferlegt. Das andere ist: Wenn ich bewusst entscheide, etwas zu tun, zu geben, zu verzichten oder zu unterlassen.

SN: Was hilft es, etwas zu opfern?

Es bringt Freude. Heuer feiere ich das 50. Jahr meiner ersten Profess. Dankbar darf ich sagen: Nicht einen Tag dieser Lebensform nach den Gelübden der Armut und Ehelosigkeit habe ich bereut. Es ist ein Geschenk, berufen zu sein und als Ordensfrau zu leben. Es ist kein Opfer, sondern eine Hingabe.

SN: Bringt das Opfern im Sinne von Verzicht auch eine Befreiung?

In einer Hinsicht ist es eine Einschränkung, wenn ich auf dieses oder jenes verzichte - etwa eine Ehe einzugehen, Familie und Kinder zu haben. Die andere Seite ist die Freiheit: Ich bin frei, für andere da zu sein, frei für den Dienst der Erziehung, das ist ja unsere Aufgabe als Schulschwestern. Ich bin ja von Herzen gern Lehrerin und Schulschwester!

SN: Jesus ist am Kreuz den Opfertod gestorben. Warum erlöst uns das?

Dass Jesus für uns in den Tod gegangen ist, können wir in seiner Tragweite weder ausdrücken noch wahrnehmen. Was bedeutet es, dass Gott Mensch wird und dann die grausame Ablehnung und Hinrichtung durch Menschen erleidet? Wir dürfen glauben, dass Jesus nicht im Tod geblieben ist, sondern diesen in der Auferstehung überwunden hat.

Daran hängt das Verständnis des Opfertodes, den wir als Hingabe für uns sehen. Paulus teilt uns das wieder und wieder mit: Jesus hat das für jeden von uns hingenommen, auch für mich persönlich. Daher wird es relevant in meiner Lebensführung.

Es ist nicht das Menschenopfer, das Gott bräuchte, sondern es ist die Hingabe des Lebens, die Jesus frei gewählt hat, um dem Tod die letzte Macht zu nehmen. So ist nicht der Tod die stärkere Macht, sondern die Liebe.

SN: Ist das Erbringen eines Opfers stets auf andere gerichtet?

Es ist eine Form der Nächstenliebe. Ich hüte mich vor einem Opfer um des Opfers willen. Allerdings ist die bewusste Einschränkung etwas Gutes und Gesundes. Heute sind Gesundheitsapostel unterwegs mit allerlei Vorschlägen, früher galt an Freitagen der Verzicht auf Fleisch, das war nicht viel anders.

Manchmal möchte ich mich bewusst einschränken aus Solidarität mit jenen, die kaum Zugang zu Wasser haben oder denen es an vielen notwendigen Dingen mangelt. Da will ich nicht bedenkenlos konsumieren, da will ich ein Opfer bringen aus Solidarität.

SN: Dies ist eigentlich nur eine Übung für Achtsamkeit und Opferbereitschaft.

Ja, ich sehe das als ein Training dafür, wenn einmal ein großer Einsatz oder ein groBer Verzicht gefordert ist. Wir sind zum Beispiel jetzt dabei, die Schulen zu übergeben. Da ist es nicht leicht, innerlich loszulassen.

Bewusstes Verzichten ist auch ein inneres Training, nicht immer alles sofort und grenzenlos haben zu müssen, sondern Nein sagen zu können und so die körperliche und geistige Beweglichkeit zu sichern.

Und es geht darum, unsere Welt zu schonen! Letztlich sind wir alle zu großer Askese gerufen, um unsere Erde nicht zum Opfer zu machen. Das passiert in vielfacher und erschreckender Weise! Durch unsere Lebensweise des unkontrollierten Konsums wird - abgesehen von der Dramatik des Krieges - die Erde als Ganzes gefährdet.

SN: In Dantes Hölle" werden dorthin Verbannte endlos für ihre Schuld gezüchtigt. Hilft etwas dagegen?

Ein Blick auf den Gekreuzigten! Damit ist dieses Opfer, das den Höllenkreis aufsprengt, schon vollzogen. Die Erlösung ist geschehen, ich darf sie für mich in Anspruch nehmen. Es ist unsere Pflicht als Kirche, den erlösenden Gott zu verkünden. Wir haben als Kirche viel gesündigt und oft einen Gott verkündet, der verurteilt. Aber unser Gott richtet nicht, sondern er richtet auf. Die Freiheit ist uns nicht genommen, sondern sie ist uns angeboten.

SN: Böte die Freiheit, selbstlos für andere etwas zu opfern, das Schlupfloch aus so einer Hölle?

Das Schlupfloch führt zu Gott. Die Hölle ist eine Möglichkeit, aber hoffentlich für möglichst wenige eine Wirklichkeit. Ich bin dankbar für die Hoffnung, dass jeder Mensch dank der ihm angebotenen Freiheit Ja zu Gott sagen kann und dass auch jene, die ihr Leben lang ein massives Nein gelebt haben, dieses Nein letztlich durchbrechen. HEDWIG KAINBERGER

Daten und Fakten Disputationes

Wie die Ouverture spirituelle sind die Disputationes von 19. bis 21. Juli dem Thema „Sacrificium" gewidmet.
Anmeldung: schmidthahn@disputationes.at

Eine der Referenten ist Beatrix Mayrhofer, Präsidentin der Frauenorden Österreichs. Weiters kommen Emil Brix, Paul Zulehner, Helga Rabl-Stadler, René Bloch und Herfried Münkler zu Wort.