„Aida". Shirin Neshat prangert Machtmissbrauch an.

Regisseurin Shirin Neshat. BILD: SN/FRANZ NEUMAYR
Shirin Neshat nimmt einen zweiten Anlauf: Fünf Jahre nach ihrer ersten „Aida" - ihr Debüt als Opernregisseurin - hat die Foto- und Filmkünstlerin ihre Inszenierung überarbeitet. Sie versichert: „Jetzt bin ich mutiger und zuversichtlicher."
SN: In dieser Oper geht es höllisch zu: Krieg, Rache, Hinterhalt, Verrat. Eine Fremde wird als Sklavin gehalten, der Mann, den sie liebt, führt Krieg gegen ihr Heimatland. Was daran interessiert Sie? Warum tun Sie sich das ein zweites Mal an?
Shirin Neshat: In meiner künstlerischen Arbeit schöpfe ich immer aus inneren und äußeren Notlagen: Welche inneren Dämonen bestimmen das Handeln von Menschen? Und wie verletzbar sind sie zugleich für ihnen zugefügte Grausamkeit? So erkunde ich über meine Kunst die inneren Plagen wie die politischen Plagen.
Die Oper „Aida" hat drei wichtige Charaktere, Radamès, Aida und Amneris. Jeder ist voll von Widersprüchen - von Liebe, Hass, Rache, Eifersucht und Gier. Zugleich sind sie konfrontiert mit Autoritäten, die noch mehr Druck ausüben: Regierung, Religion und Militär. Das ergibt eine komplexe Geschichte von Konflikten von innerer und äußerer Welt, von Dämonen und Politik.
SN: Mit „Religion" meinen Sie staatlich instrumentalisierten Glauben?
Meine Arbeit untersucht die Macht von Religion und Regierung auf einzelne Menschen und wie diese Autoritäten das Schicksal von Menschen bestimmen, ohne dass diese eine Wahl hätten.
Schauen Sie in den Iran, wo Staat und Religion seit vier Jahrzehnten nicht getrennt sind: Wir Iraner sind Opfer einer skurrilen Religion - nicht einer Religion im Sinne von würdevoller, philosophischer Führung, sondern einer Religion, die moralische Regeln auferlegt, die für viele Menschen die Hölle bedeutet. Dieser Konflikt zwischen Regierung, Militär und moralisch-religiösen Codes einerseits und Bedürfnissen der Menschen andererseits erzeugt Kummer.
In „Aida" möchte ich diesen gesellschaftlichen und politischen Aspekt herausarbeiten. Das Thema von „Aida“ ist, wie Krieg, Brutalität und diese Feier des Tötens vielen unschuldigen Menschen - etwa den Sklaven in Äthiopien - Schmerz bereiten.
Es ist interessant, wie diese drei großen, humanen Charaktere mit diesem brutalen Umfeld umgehen.
SN: Ist das politische Umfeld in „Aida" auch zwiespältig?
Nein, da gibt es in dieser Oper nichts Positives. Aus dieser „Priesterschaft" - die Bezeichnung ist fast ironisch - kommt nur Brutalität, das erinnert mich an die derzeitige Regierung im Iran.
In der neuen Version meiner Inszenierung kommt diese Brutalität viel klarer zur Geltung als vor fünf Jahren. Jetzt sind Militär, Priesterschaft und Regierung nicht mehr passiv, jetzt sind sie aggressiv, unterdrückerisch und brutal.
SN: Radamés ist der tapfere Krieger, der zugleich seine Liebe zu Aida nicht verrät. Auch Aida ist mutig und bleibt letztlich ihrer Liebe treu. Warum ist Amneris da interessant?
Die ägyptische Königstochter ist eine Gefangene in einem goldenen Käfig. Sie will kein Leben als Prinzessin, sie will Mensch sein. Aber sie ist immer umgeben von Dienern und Protokoll. Sie würde alles tun, um so lieben zu dürfen wie Aida. Aber die Sklavin kann das, was sie nicht erreicht.
Radamès und Aida verstehen einander, finden einander. Aber Amneris bleibt im goldenen Käfig als eine lieblos Lebende. Sie entkommt nicht. Sie ist Opfer.
SN: Was ist noch anders im Vergleich zur ersten Version 2017?
Es ist ja meine erste Operninszenierung. Beim ersten Mal war ich noch mehr der Außenseiter, ich sah meine Aufgabe vor allem darin, den Sängern und Musikern Raum zur Entfaltung zu geben. Jetzt bin ich mittendrin, jetzt wird mein Standpunkt viel deutlicher. Diesmal werden meine künstlerische Handschrift und meine eigene menschliche Erfahrung sichtbar. Beim ersten Mal hatte ich noch viel Respekt vor dem Genre der Oper. Jetzt bin ich mutiger und zuversichtlicher. Die Geschichte, die wir jetzt erzählen, wird relevanter sein als vor fünf Jahren.
Die „Aida" von 2017 war viel klassischer, die Periode, in der sie spielte, war nicht klar. Jetzt machen wir eine deutliche Gegenüberstellung von Zeitgenössischem und den Referenzen aus dem Klassischen.
SN: Was wird zeitgenössisch?
Die Soldaten sind eine Projektion der Revolutionsgarden im Iran. Die Sklaven werden Leute mit islamischem Hintergrund sein.
An der Oberfläche sind dies Referenzen zu meinem eigenen Volk, aber ich denke da genauso an die Ukraine und an andere Länder der Welt, wo Mächtige in Militär und Regierung den Menschen die Kontrolle über deren Leben entziehen. Sie werden das, was einst Sklaven hieß und heute Flüchtlinge sind - aus Afghanistan, Jemen, Syrien. Es sind Machtlose, weil die Herrschenden ihre Macht mit brutaler Gewalt verfolgen.
SN: Was von Ihrer Erfahrung wird deutlich?
Vor allem ist es ein feministischer Standpunkt. Frauen sind viel mutiger, radikaler und rebellischer als Männer, weil sie viel mehr unterdrückt werden.
Hinzu kommt meine Erfahrung als Iranerin. Als ich 17 Jahre alt war, habe ich das Land verlassen, seither kann ich nicht zurück. Die Erfahrungen der brutalen Unterdrückung meiner eigenen Regierung - vor allem von Frauen, aber überhaupt von Menschen sollten in der Inszenierung deutlicher werden als 2017.
Am wichtigsten wird das Thema des Krieges. Wie grotesk Krieg ist! Es wird viele Momente von Kummer und Trauer geben, damit wir das Leiden von Menschen im Krieg nicht ignorieren. Dafür bewegen wir uns auch ins Surreale und in die Fantasie, damit das Publikum die Möglichkeit bekommt, andere Dimensionen davon zu erfassen. Daher führen wir einen neuen Charakter ein: einen Todesengel, der den Abend begleitet.
SN: Die Titelpartie singt Elena Stikhina, eine Russin.
Wir sind jetzt beide heimatlos! Wir leben beide im Exil. Wir beide sind Geiseln von Mächtigen, die uns schaden, die uns sogar bekämpfen. Im Iran wie in Russland agiert das Militär gegen das eigene Volk - auch in Syrien. Unsere russischen Freunde sind durch diesen Krieg und durch das Verhalten ihrer Regierung isoliert. Wenn Elena jetzt die Aida singt, also eine Frau, die nicht mehr in ihre Heimat zurückkann, dann macht sie viel aus dem Bauch heraus. Das ist ein Beispiel: Vieles von unserer Interpretation kommt aus unmittelbaren Erfahrungen, zugleich ist „Aida" eine wunderschöne, kraftvolle, weil so zeitlose Geschichte.
SN: Bedauern Sie, dass Anna Netrebko nicht mehr dabei ist?
Ich kenne ihr Verhältnis zu dieser Geschichte nicht. Für Elena sind diese Gefühle von Sorge und Kummer infolge der politischen Situation sehr wahr. Auch wenn sie bei Proben oft den Tränen nahe ist, behauptet sie sich als souveräne Künstlerin und hat großes Talent als Darstellerin.
SN: Ihre erste „Aida" dirigierte Riccardo Muti. Jetzt hat Alain Altinoglu die musikalische Leitung. Was ist der Unterschied?
Ich liebte die Arbeit mit Riccardo Muti, er ist ein faszinierender Dirigent und Mensch. Alain lässt uns mehr Freiheit, wir ändern ja ziemlich viel für die neue Produktion. Er lässt sogar Geräusche zu, einmal etwa das Wispern von Frauen. Er ist sehr empfänglich für solche Ideen. Offensichtlich bringe ich etwas in die „Aida", das orientalisch ist, also nicht westlich etwa mit Videos. Als junger Dirigent ist er dafür offen. Alain lebt in Brüssel, aber er ist armenischer Abstammung - also auch mit schmerzhafter Geschichte. Daher versteht er, woher wir kommen.
SN: Das künstlerische Ensemble dieser „Aida" ist erstaunlich gemischt.
Ja! Felice Ross, unsere Lichtdesignerin, kommt aus Israel. Anita Rachvelishvili, unsere Amneris, kommt aus Georgien. Elena (Stikhina) ist Russin. Piotr Beczała (Radamès) stammt aus Polen, Erwin Schrott (Ramfis) kommt aus Uruguay, es gibt auch Deutsche und Italiener. Wir Künstler lieben es, als internationale Gemeinschaft zu arbeiten! Alle kommen von verschiedenen Ecken der Welt - für eine neue Interpretation von „Aida".
SN: Wird Aida am Ende Ihrer Inszenierung überleben?
Die beiden (Radamès und Aida, Anm.) entscheiden, zusammen zu sterben. Das muss nicht unbedingt ein menschlicher Tod sein, es ist mehr ein Flug. Ich mache das oft in meiner Arbeit (etwa im Film „Women Without Men", Anm.): Eine Frau, die einen rebellischen Weg genommen hat, begeht so etwas wie Selbstmord, indem sie springt - aber mehr in einen spirituellen Tod, das ist nicht zwingend ein tatsächlicher. Sie findet Freiheit im poetischen Sinn.
Im Film „Rapture" bleiben die Männer zurück in ihrer Burg. Die Frauen gehen zum Meer, besteigen ein Boot und fahren ab - man weiß allerdings nicht: in den Tod oder die Freiheit? Wir haben im Iran eine lange Tradition von Mystik und Poesie; da kann es einen mystischen Tod geben, der kein Ende bedeutet. Auch Aida findet so eine Freiheit im poetischen Sinn. Trotzdem ist sie eine tragische Figur. HEDWIG KAINBERGER
Oper: „Aida", Großes Festspielhaus, Premiere am 12. August.