Josef Thorak und Salzburg: eine »künstlerische Revision«

Josef Thorak und Salzburg: eine »künstlerische Revision« ist eine Rede von Dr. Hildegard Fraueneder (Kunstgeschichte, Kunst- und Kulturwissenschaft) zur Eröffnung der Ausstellung von Bernhard Gwiggner im Jahr 2010 und wurde dem SALZBURGWIKI freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Einleitung

Sehr geehrter Herr Magister Gwigger,
im Rahmen einer journalistischen Recherche befasste ich mich mit dem Bildhauer Thorak. Ich möchte betonen, dass ich keinerlei Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut hege. Aber: Er war ein großer Künstler und so viel mir bekannt ist, hat ER nicht die Nähe Hitlers gesucht. Ich denke, dass man ihn daher NICHT verurteilen darf. Sollten Sie gegenteilige Unterlagen haben, bitte ich Sie um Information.
Mit besten Grüßen

Die Rede

In dieser E-Mail, die Bernhard Gwiggner wenige Tage vor der Eröffnung seiner Ausstellung erhielt, ist jene Stimmung und Einschätzung wiedergegeben, die von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis heute ungebrochen scheint, mit der die ›Großartigkeit‹ der Kunst das politische Verhalten der Person zu relativieren versucht. Doch Bernhard Gwiggner wählt einen anderen Ansatzpunkt; er stellt uns vor die Frage, was Josef Thorak mit uns heute, mit Salzburg zu tun hat, weshalb wir uns mit ihm nach wie vor beschäftigen, auch beschäftigen müssen.

Die drei Auseinandersetzungsebenen, mit denen die Bezüge Thoraks zu Salzburg in der Ausstellung thematisiert werden, sind präzise gesetzt: das von Thorak konzipierte Denkmal der Arbeit, weiters die im Festspielsommer 1950 parallel laufenden Ausstellungen von Josef Thorak im MirabellgartenSchwarzstraße und jene von Fritz Wotruba in der Salzburger Residenz und zuletzt die wissenschaftliche Bearbeitung anhand der Diplomarbeit von Gunhild Reingruber zu Leben und Werk Thoraks aus dem Jahr 1998, deren künstlerische Bearbeitung in Form einer bezeichneten Papierbahn die Ausstellungsräume friesartig einfasst.

Das so genannte Denkmal der Arbeit für die Reichsautobahn am Grenzübergang Walserberg, bei dem auf einer schräg aufsteigenden Rampe vier Giganten einen Felsen hinaufziehen, thematisiert Gwiggner in einer wandfüllenden Kohlezeichnung mittels eines maßstabsgetreu wiedergegebenen kleinen Ausschnitts, der die riesigen Abmessungen und Dimensionen spürbar macht. Obgleich die Zeichnung die größte zur Verfügung stehende Wandfläche einnimmt, ist nur der untere vordere Teil des Sockels und ein angeschnittener Fuß zu sehen; mit dem Titel ...mal der Arbeit spielt Gwiggner sowohl mit dem Arbeitsbegriff der Kunst, mithin den auf Sinnhaftigkeit zu befragenden eigenen Arbeitseinsatz, als auch der Bezeichnung der Thorak’schen Plastik, an der dieser von 1938 an arbeitete. Die Feier zum Spatenstich der Autobahn am Grenzübergang Walserberg am 7. April 1938 stand ganz im Zeichen des Anschlusses: nach dem Fällen von 60 Bergriesen (Fichten), hatte – so berichtet der Völkische Beobachter – der Reichsstatthalter Seyß-Inquart Hitler gemeldet, dass nun der Blick in alle Gaue des Reiches offen sei; da die Reichsautobahn als das »einende Band« Ausdruck der politischen Einheit sein sollte, war das im Vorfeld geplante Grenzdenkmal hinfällig. Josef Thorak, geschickt im Aufgreifen politischer Vorstellungen, entwickelte ein 14 Meter hohes »Triumphmal des Anschlusses«, von dem Hitler wünschte, dass es auf einem Sockel zu stehen komme und in rötlichem Granit ausgeführt werden möge, damit es »nach 1.000 Jahren trotz der Witterung noch ganz in seinen edlen Formen dastehe.«[1]

Dass gerade am Führerwunsch die Realisierung des Projekts letztendlich scheiterte, ist mehr als symptomatisch: Ein rötlicher Granit in dieser Größe überforderte selbst die nationalsozialistische Logistik.

Dessen ungeachtet arbeitete Thorak im Atelier Baldham bei München weiter an den Modellvergrößerungen. Ein Foto von Franz Hubmann von 1945, das Bernhard Gwiggner lapidar als Kopie neben die großformatige Kohlezeichnung hängt, zeigt einen GI vor dem inzwischen verstaubten Monument. Bei der Atelierräumung 1946 wurde das Modell letztlich zerstört, lediglich der 5 mal 18 Meter große Betonsockel soll nach Recherchen von Hermann Neumann noch unter dem Parkplatz am ehemaligen Grenzübergang vorhanden sein.[2]

Im Magazin Spiegel vom April 1950 meinte Thorak: »Man wirft mir den Gigantinismus vor! [...] Ich weiß. Warum aber? Das Reichsautobahndenkmal, das die Amerikaner gesprengt haben, stand in einer heroischen Landschaft, mitten in den Bergen. Es mußte groß sein.«[3]

Als Gegenüber der Kohlezeichnung postiert Gwiggner im zentralen Ausstellungsraum die Figur WoThora: Sie referiert auf die zeitgleichen Ausstellungen Thoraks und Wotrubas, mit der – wie es in der Wiener Arbeiterzeitung hieß – die »Härte Wotrubas« mit der »Quallenweichheit des Selbstgefälligen«, gemeint war Thorak, verglichen werden konnte, was vor allem in der Salzburger Presse weidlich ausgebreitet wurde. In den meisten Zeitungsberichten mit Ausnahme jener im SPÖ-nahen Demokratischen Volksblatt wurde die Bedeutung und Größe von Thoraks Kunst über die Polemik gegen Wotruba geradezu hergestellt. Die große Werkschau von Fritz Wotruba vom 1.31. August 1950 im Carabinieri-Saal der Salzburger Residenz,[4] von Friedrich Welz organisiert, wurde von Landeshauptmann Klaus eröffnet, die Eröffnungsrede hielt der Sammler und Präsident der Gesellschaft zur Förderung neuer Kunst Manfred Mautner Markhof. Dieser betonte vor allem die internationale Anerkennung, auch durch Künstler wie Picasso und Matisse, seine Ausstellungen in Zürich, Rom, Paris und Philadelphia. Er erwähnte, dass bei der Biennale in Venedig 1948 Wotrubas Arbeiten den stärksten Eindruck hinterließen und gab »der Genugtuung darüber Ausdruck, daß es Wotruba war, dem die Jury den kürzlich vergebenen großen Industriepreis für Bildhauerei zuteil werden ließ [...]«.[5]

Die Thorak-Schau wiederum stand unter dem Ehrenschutz von Bürgermeister Anton Neumayr und seinen beiden Stellvertretern Richard Hildmann und Karl Schneider-Manns Au, als Veranstalter fungierte das Kulturamt der Stadt Salzburg und die Salzburger Kulturvereinigung. Sie war die erste in der neu geschaffenen ›gärtnerischen Anlage‹ des an die Schwarzstraße grenzenden Abschnitts des Mirabellgartens. Obgleich für dieses Gelände auch andere Pläne, wie die Errichtung eines notwendig gewordenen Parkplatzes und weiters eines Kinderspielplatzes vorlagen, ließ die Stadtverwaltung mit der Absicht, die »internationale Kulturgeltung Salzburgs«[6] zu stärken, von Architekt Rudolf Raffelsberger eine Anlage für »künftige Freilichtausstellungen von Plastiken in- und ausländischer Künstler« gestalten. Auf Wunsch Thoraks wurde auch ein Holzpavillon für seine Kleinplastiken,[7]

Modelle und Zeichnungen errichtet, der bis heute vom Kulturamt der Stadt als temporärer Ausstellungsraum genutzt wird – Thorak soll nach damaligen Zeitungsmeldungen den Bau auch mitkonzipiert und überwacht haben. Den Einladungsfolder ziert der visionär in die Ferne blickende Fischer von Erlach, außerdem abgebildet sind von den in Salzburg verbliebenen Arbeiten der Kopernikus und die Pietà, allesamt vor neutral eingefärbten Hintergrund, der gemeinsam mit dem Aufnahmewinkel eine pathetisch aufgeladene Stimmung erzeugt.

Der biographisch anmutende Text führt vor allem internationale Aufträge und Anerkennungen an, in einer Zeile erwähnt ist auch die Zeit des Nationalsozialismus, allerdings in sprechender Manier: »Nachdem er als berühmter Künstler nach Deutschland zurückgekehrt ist, werden ihm dort große Aufgaben gestellt.«[8] In den euphorischen Medienberichten wurde er als »heimgekehrter Sohn« gefeiert, was biographisch zwar nicht korrekt, aber im übertragenen Sinne auf die für Salzburg geschaffenen Monumentalplastiken verweisen mag. Offiziell war die Thorak-Schau auf zwei Monate (15. Juli15. September) begrenzt gewesen, doch die Monumentalwerke blieben allesamt stehen und wurden erst nach dem Tod Thoraks 1952 unter den Erben aufgeteilt; der Stadt geblieben sind der seit 1950 unverrückt auf seiner Position stehende Kopernikus (er ging als Geschenk der Witwe an die Stadt Salzburg) und der Paracelsus, den Bernhard Gwiggner thematisiert.

Gwiggner zitiert jedoch nur dessen äußere Form und verknüpft diese mit den Gestaltungsprinzipien Fritz Wotrubas der späten 1940er Jahre. Könnte so der Paracelsus ausgesehen haben, wenn die Denkmal-Betreiber 1942 statt an Thorak an Wotruba herangetreten wären? Allerdings: Wäre die Geschichte damals anders verlaufen, hätte die Paracelsus-Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt ihren Denkmalwunsch schon zum 400. Todestag des in Salzburg verstorbenen Arztes 1941 erfüllt gehabt. Bereits 1940 wurde der Wiener Bildhauer und Gemmenmacher Rudolf Schmidt mit den Denkmalsplanungen betraut. Dieser hatte während des Nationalsozialismus – wie so viele andere auch – Karriere gemacht, er fertigte nicht nur Medaillen für alle möglichen Anlässe, auch reihenweise Büsten von Nazi-Funktionären und von diesen verehrten Dichtern. Seine beiden Denkmalentwürfe wurden nie realisiert. Ersterer, für ein Paracelsuskrankenhaus in Mülln vorgesehen, musste gemeinsam mit den Krankenhausplänen verworfen werden, das zweite Projekt – eine Büste mit einer stufenförmigen Anlage samt Inschriftentafel, geplant für die Ecke des Parks beim Posthof und alternativ gegenüber dem Portal des Chiemseehofes – wurde aus Geldmangel abgebrochen.

Doch die neu gegründete Paracelsus-Gesellschaft hatte das Glück der Zahlen auf ihrer Seite, konnte man doch schon zwei Jahre später – also 1943 – den 450. Geburtstag des Hohenheimers feiern, womit das ersehnte Denkmalsprojekt wieder aufgegriffen werden konnte. Dieses Mal ist man an Thorak herangetreten, der 1942 ein erstes Modell anfertigte; 1943 wurde die endgültige Fassung fertig gestellt und das Gipsmodell bei der Großen Deutschen Kunstausstellung in München gezeigt. Die Ausführung in Stein kam als Gegengabe für die Unterstützungen des Gauamtes Salzburg bei der Besitzübernahme des enteigneten Schlosses Prielau durch Gauleiter Gustav Adolf Scheel als Geschenk nach Salzburg. Scheel bedankt sich brieflich bei Thorak für den Paracelsus und für das monumentale Gipsmodell, das den Barockarchitekten Fischer von Erlach porträtiert.[9]

Wieder wälzte man große Pläne für eine adäquate Aufstellung der Paracelsus-Figur in Form einer Brunnenanlage am Max-Reinhardt-Platz – dem die 1930 beschlossene Namensgebung zwischen 1938 und 1946 aberkannt war – , die Thorak hätte ausführen sollen: die Figur sollte in einem Becken mit 5 Metern Durchmesser auf einer achteckigen Plattform zu stehen kommen. Aus einem weiteren Brief von Scheel 1944 geht hervor, dass die Paracelsus-Figur in Marmor in Salzburg eingelangt sei; es ist anzunehmen, dass sie unmittelbar darauf aufgrund der beginnenden Luftangriffe in den Stollen von St. Peter verfrachtet wurde, wo sie dann Jahre später gefunden wurde, um dann bei der großen Freiluft-Ausstellung 1950 im neu geschaffenen Areal am Mirabellgarten/Schwarzstraße aufgestellt zu werden.

Bei der Eröffnung sprach Vizebürgermeister Hildmann dem Künstler Dank aus für die Großzügigkeit der Geschenke – gemeint waren die beiden Kolossal-Figuren Paracelsus und Fischer von Erlach – an die Stadt.[10] Ein Geschenk, für das nach der nahtlosen Übernahme der Gaubesitztümer im Jahr 1950 ein zweites Mal gedankt wurde, nach Gauleiter Scheel?

Wie gehen wir heute mit gestifteten und geschenkten Kunstwerken um, mit jenen, die städtische Freiflächen zieren? Welche Interessen lassen sich heute benennen und worin unterscheiden sie sich von den damaligen? Wieweit definieren Skulpturen einen Platz und bilden eine ästhetische oder politische Bannmeile aus, inwiefern öffnen sie sich, laden ein, einen Platz vielfältig zu nutzen?

In den frühen 1940er-Jahren – also in den Kriegsjahren – waren die Betreiber darum bemüht, für Salzburg das erste große Paracelsus-Denkmal zu sichern. Die Sorgen der Nachkriegszeit wiederum galten der Platzierung dieser monumentalen Standfigur, denn nach der Aufstellung für die große Thorak-Schau 1950 wusste man schlichtweg nicht, wohin mit ihr. Im Salzburger Volksblatt wurde über mehrere Tage kurz vor Ende der Ausstellung diese Frage intensiv erörtert, erwähnt sei hier der Beitrag von Architekt Heinrich Dauner, der seinen Vorschlag von 1943, den Paracelsus auf der Grünfläche Kaigasse/Kajetanerplatz/Pfeifergasse zu positionieren, in Erinnerung rief, da damit die Nähe zu Wohn- und Wirkstätte von Paracelsus gegeben sei. Auch Magda Schneider hätte damals diesen Ort vorgeschlagen. Eingefasst werden sollte die auf einer dreistufigen ellipsenförmigen Anlage aufgestellte Figur von zwei Sitzbänken.[11]

Wenige Tage zuvor war noch die Aufstellung im Botanischen Garten im Furtwänglerpark empfohlen worden.[12]

Eine Probeaufstellung 1953 an der Staatsbrücke endete unbefriedigend, ebenso jene im Eingangsbereich des neu errichteten Hallenbades. Erst 1967 wurde die Monumentalfigur an der heutigen Position im Kurpark aufgestellt. Peter Kramml, der über die Paracelsus-Gesellschaft und ihre Denkmalsprojekte gearbeitet und publiziert hat, bezeichnet die Figur als Rumpf.[13] Aber ist es einer? Die konzeptive Verbindung mit Brunnen und Wasser des Jahres 1943 scheint für die Figur des Arztes ebenso naheliegend zu sein wie jene ein halbes Jahrhundert später geplante Kontextualisierung mit einem Kräuterbeet: Ein Projektvorschlag 1993 hatte eine Aufstellung in Hellbrunn an Stelle des Sisi-Denkmals vorgesehen und dazu eine Kräuterpromenade visioniert.

Im Zuge der Thorak-Schau lief auch eine Realisierungskampagne für die Umsetzung der erwähnten Fischer von Erlach-Figur in Marmor; 1950 war die Stadtgemeinde sogar bereit, 40.000,– Schilling zur Verfügung zu stellen[14], um die Jahre zuvor zwischen Thorak und Gauleiter Scheel vereinbarte Aufstellung am Makartplatz doch noch zu ermöglichen, wofür sogar eine geistige Verwandtschaft Thoraks mit Hans Makart bemüht wurde.[15] Im Salzburger Volksblatt wurde darüber berichtet, dass eine Meraner Firma zwei Marmorblöcke stifte und Verhandlungen über die Einfuhrgenehmigung liefen.[16]

Nach der Ausstellung 1950 wurde das Gipsmodell beim Steinmetz Eibl – von ihm stammt auch die Steinausführung der Pietà im Friedhof Sankt Peter – eingelagert, 1973 wurde es restauriert und seit damals ist es im Kuppelraum des Alten Leichenhauses im östlichen Teil des Salzburger Kommunalfriedhofs abgestellt. Dieses wird seit 1958 von der Friedhofsverwaltung als Stauraum und Lagerplatz genutzt und ist nicht öffentlich zugänglich.

Das Salzburger Volksblatt veröffentlichte in den letzten Augusttagen 1950 Fotomontagen, mit denen unterschiedliche Aufstellungsplätze der Kolossalfiguren Paracelsus und Fischer von Erlach der Leser*innenschaft zur Abstimmung vorgeschlagen wurden: die Aufstellung des Fischer von Erlach vor der Dreifaltigkeitskirche stieß jedoch auf Ablehnung, während für erstere Figur (neben einer Aufstellung vor der Spänglerbank an der Staatsbrücke, im Furtwänglerpark und im Kaiviertel) bereits die heutige Aufstellung im Kurpark diskutiert wurde.[17] Sowohl die Paracelsus-Figur als auch das Gipsmodell Fischer von Erlach kamen wie erwähnt als Geschenk an Gauleiter Scheel in den Besitz Salzburgs. Die regen Diskussionen über mögliche Aufstellungsorte, wie sie die Zeitungsberichte vermitteln, zeigen einerseits die ungebrochene Begeisterung ob dieses Besitzes, sie deuten aber auch bereits die Schwierigkeiten im Umgang mit diesen eigentlich »verzeichneten«[18] Figuren an, deren Monumentalität das Stadtbild massiv verändert und prägt.

Wie können wir die Figur des Paracelsus heute sehen, wie beschreiben? Als Rumpf eines Denkmals, von dem eine überlebensgroße ›Sitzstatue‹ blieb?

So eigenwillig die Figur WoThora auch anmutet, die Wiedererkennbarkeit ist trotz des Ineinanderfügens zweier konträrer bildhauerischer Stile gegeben, konkret als Effekt einer Wechselwirkung von Betrachter*innenblick und der spezifischen Gestaltungsweise. Denn Gwiggner konstruiert, und er zeigt, dass er konstruiert. Eine figurale ›Ansicht‹ gewährt er nur von vorne; links, rechts und dahinter sieht man explizit das Gemacht-Sein, das Gebaute, Geklebte, das rohe Material. Styropor ist eigentlich ein denkbar ungeeignetes Material für Stand- und Sitzfiguren, aber darum geht es auch nicht. Gwiggner formt keinen neuen Paracelsus, sondern nimmt die Groteske von damals zum Ausgang, das Miteinandervergleichen und Gegeneinanderausspielen, nicht nur Wotrubas gegen Thorak, auch Wiens gegen Salzburg usf. Die Häme von damals wurde selbstredend auch über die Besucherzahl geführt: Die Wotruba-Ausstellung erreichte »800 Besu- cher – eine mehr als geringe Zahl. Dies könnte allein ein Urteil sein«[19] – während die Thorak-Schau bereits zur Halbzeit über 15.000 Besu- cher zählen konnte.[20]

Einzig im Demokratischen Volksblatt wurden die Arbeiten von Wotruba als international anerkanntem Künstler adäquat besprochen, während in den Salzburger Nachrichten Wotruba ein »nicht arterhaltender Kunstgebrauch« unterstellt und gegen »das Werk eines in sich beschränkten Ingeniums«, das »weder schön noch häßlich – ja eigentlich ohne Geschmack – und auch nicht dem modernen Stilempfinden verpflichtet« sei, polemisiert wurde.[21] Ein im Demokratischen Volksblatt abgedruckter Leserbrief ist es wert, an dieser Stelle zitiert zu werden, da der Verfasser L.B. die Kontinuitäten der begrifflichen Zuschreibungen über ideologische Grenzen hinweg thematisiert und an die narrative Konstruktion und Interpretation der Arbeiten von Thorak im Nationalsozialismus erinnert – aufgezeigt an den Begriffen »kraftstrotzend«, »lebend«, »gesundes, echtes Schönheitsempfinden« usf. Vor allem wendet er sich gegen das »Zauberwort ›gesund‹« und schreibt:[22]

Für alles, was brutal, stumpfsinnig oder oberflächlich war, hatte man das Wort ›gesund‹ zur Hand, wenn es den Diktatoren so in den Kram passte, angefangen vom ›gesunden Volksempfinden‹, wenn es sich um ein Judenprogramm handelte, über das ›gesunde Rechtsempfinden‹, wenn es galt, einen krassen Rechtsbruch zu verteidigen, bis zum ›gesunden Schönheitsempfinden‹, wenn ein mittelmäßiger, aber politisch verwertbarer Künstler zum Vorbild für alle anderen erhoben werden sollte.

Nicht zufällig wählt Bernhard Gwiggner ›giftige‹ Materialien und konstruiert eine Figur, deren Anmutung ganz offensichtlich jedem der erwähnten Narrative widerspricht. Er integriert auch die Kommentare aus der jüngeren Vergangenheit, so das illegale Auftragen eines Hitlerbärtchens und zweier Hörner, von dem ein Fotodokument zeugt, das der Künstler für die Gestaltung der Einladungskarte verwendete. Durch die Gestaltung mit Styropor folgt Gwiggner also weder dem Modellieren eines Thorak – es bedingt die Verschwommenheit der Figuren, lässt unter den Falten einen Körper vermissen und zeitigt Figuren, die sich trotz der ins Riesenhafte übertragenen Kleinheit des Modellier-Maßstabs eher als Porzellanfiguren eignen würden[23] – noch der Gestaltungsweise Wotrubas, Herausmeißeln der Figuren aus dem Stein mit präzisen Linien und Proportionen. Trotz oder gerade wegen des Einsatzes kubischer Formen betont Gwiggner ganz offensichtlich das halb Sitzende und halb Kniende von Thoraks Paracelsus, dessen Figuren allesamt eine statische Klarheit der Gestalt vermissen lassen und nicht von ungefähr als »schwammig« und »verzeichnet« beschrieben worden sind.

Gwiggners Figur trägt die Farben des »Punschkrapferls«, das Robert Menasse 1995 zum »Symbol« für die Zweite Republik erkoren hatte: »außen rosa, innen braun« – so die Mentalitätsbeschreibung, die im Kern auf Thomas Bernhard zurückgeht. Doch Gwiggner wendet das Innere nach außen, er überzieht den rosaroten Kern auf der Vorderseite mit dem Braun eines Schokogusses und verweist darauf, dass die Hülle, unter die es sich zu blicken lohnen würde, wiederum nur eine Schicht freigibt, mit und in der man sich wohlig rosa weich einrichten könnte. Aber es ist eben nur eine Schicht und nicht der Inhalt, das Eigentliche.

Dass es lohnend ist, über den Tellerrand hinaus zu blicken, zeigt Bernhard Gwiggner in der friesartig den Raum einfassenden Endloszeichnung: Aus der Diplomarbeit von Gunhild Reingruber schreibt er die für die Biografie Thoraks und für Salzburg wesentlichen Kapitel stichwortartig nach und markiert dabei einzelne Begriffe und Wortfolgen rot, die er dann durch die Google-Bildersuchmaschine laufen lässt und den ersten Treffer jeweils als Zeichnung darunter stellt. Was haben jetzt diese heutigen Bilder-Treffer mit einer kritischen Bearbeitung der Geschichte zu tun? Die Reihung der Treffer erfolgt nach dem Prinzip der Häufigkeit eines Abrufes oder nach erkauften Vorreihungen, das heißt, dass sich mit der Hierarchie der Treffer das nachzeichnen lässt, was nach Foucault einen Diskurs in seiner hegemonialen Erscheinung zeigt, der jenes nach oben reiht, was gerade verhandelt, gemocht, verehrt wird. Wenn man analog dazu die Tagespresse von 1950 durchgeht und exemplarisch die Schlagzeilen aus Kunst und Kultur nimmt, so stößt man auf Beachtliches: Das neue Stadtkino mit dem wunderbaren Espresso wurde als größtes Kino der Stadt eröffnet. Die Dreharbeiten in Parsch und am Gaisberg für Franz Antels Film Auf der Alm, da gibt’s koa Sünd wurden beendet und der Familie Trapp kam die Ehre zu, bei ihrem ersten Besuch in Salzburg vom Landeshauptmann empfangen zu werden. Das Zauberflötenhäuschen wurde vom Kapuzinerberg herunter in den Mozarteums-Garten versetzt, auf dem Rosenhügel der Grundstein für ein Musikhaus gelegt und das Festspielhaus feierte sein 25-Jahr-Jubiläum. Eine Andreas-Hofer-Statue über dem Portal eines Herrenmodehauses am Platzl konnte schlussendlich doch angebracht werden, Vizebürgermeister Hildmann hatte wegen außenpolitischer Bedenken lange die Bewilligung verweigert.[24]

Im Jahr 1950 scheint im Vergleich zum politisch brisanten ›Südtirol‹ das Projekt Thorak wenig bedenklich gewesen zu sein. Thoraks Verstrickt-Sein in die nationalsozialistischen Machen- schaften, sein Hinnehmen oder auch Gutheißen der Gräueltaten wurde in den vergangenen Jahrzehnten wissenschaftlich aufgearbeitet, beginnend mit der Dissertation von Gert Kerschbaumer. Seit über drei Jahrzehnten wissen wir: Er hat die Nähe Hitlers gesucht, sich angebiedert und angepasst – seine »selbstgezimmerten« Entlastungsargumente für die damaligen Spruchkammerverfahren heute zu wiederholen, wie es in der am Beginn zitierten Email anklingt, ist mehr als nur fragwürdig.

Es liegt an uns, was wir wissen wollen und was wir mit diesem Wissen tun.

Bernhard Gwiggner nimmt in seiner Auseinandersetzung mit Thorak nicht unbedingt eine künstlerische Bewertung der nationalsozialistischen Bildproduktion in Anspruch, es geht ihm mehr um den damaligen und vor allem den heutigen Umgang mit Kunstwerken aus der Zeit des Nationalsozialismus. Um die verschiedenen Einschätzungen und das unterschiedlich verteilte Wissen sichtbar zu machen, legt er Post-its auf, die von Besucher*innen beschrieben und in das Zeichnungsband eingefügt werden können – einige Kommentare sind ja bereits hinterlassen worden. Auch mit dieser Geste zeigt sich, dass es an uns liegt, wie wir mit Kontinuitäten und einer kritischen Erinnerungskultur umgehen, vor allem aber positioniert sich diese Konstellation, auch unabhängig von der Vielheit einer Beteiligung, gegen jede Form einer Entledigung.

Eine kritische Kunstpraxis, wie wir ihr in dieser Ausstellung begegnen, kann eine politische Wirkung nicht garantieren, da sie immer ein Unentscheidbares mit sich führt, aber sie kann in der Art der Gestaltung einen Umstand so vorführen, dass man die »Verflechtung mehrerer Politiken erkennt, dieser Verflechtung neue Gestalten verleiht, ihre Spannungen erkundet und somit das Gleichgewicht der Möglichkeiten und die Verteilung der Fähigkeiten verschiebt.«[25]

Quelle

  • Hildegard Fraueneder: Josef Thorak und Salzburg: eine »künstlerische Revision« in: Texte und Reden, Herausgegeben von Werner Michler und Romana Sammern unter Mitarbeit von Franz Jäger, Turia + Kant, Wien-Berlin, ISBN 978-3-98514-016-9
→ via E-Mail an Administrator Peter am 28. April 2022 mit der Berechtigung, die Rede hier abzudrucken

Anmerkungen

  1. Vgl. Gert Kerschbaumer: Faszination Drittes Reich. Kunst und Alltag der Kulturmetropole Salzburg, Salzburg 1988; ders. und Karl Müller: Begnadet für das Schöne. Der rot-weiß-rote Kulturkampf gegen die Moderne, Wien 1992.
  2. Hermann Neumann: Der Bildhauer Josef Thorak (1889–1952): Untersuchungen zu Leben und Werk, 2 Bde., Univ. Diss. Technische Universität München 1992.
  3. Der Spiegel, Nr. 15, 13.4.1950.
  4. Nach einem Zeitungsbericht war diese Ausstellung ursprünglich als Freiluft-Ausstellung geplant: »Es ist schade, daß der Rasenfreiplatz vor dem Festspielhaus diesen Skulpturen nicht zuteil wurde [...].« Demokratisches Volksblatt, 8.8.1950.
  5. Ebd.
  6. Vgl. Einlegeblatt im Einladungsfolder Thorak, Folder, Ausst. Mirabellgarten – Schwarzstraße, hg. vom Kulturamt der Landeshauptstadt Salzburg und der Salzburger Kulturvereinigung, Salzburg 1950.
  7. Ausgestellt war auch die Wachsbüste Wilhelm von Bode, die 1944 aus der Ausstellung Deutsche Künstler und die SS in der Salzburger Residenz für die Sammlung der Landesgalerie Salzburg erworben worden war und sich heute in der Sammlung des Museums Moderner Kunst Salzburg befindet.
  8. Einladungsfolder Thorak Ausstellung Salzburg, Mirabellgarten – Schwarzstraße.
  9. Vgl. Susanne Rolinek: »›...mit ganzer Kraft für die deutsche Kunst‹ der Bildhauer Josef Thorak als NS-Karrierist«, in: Politische Skulptur. Barlach/Kasper/Thorak/Wotruba, Ausst.-Kat. Landesgalerie Linz, hg. v. Martin Hochleitner, Weitra 2008, S. 86.
  10. Vgl. Bericht in den Salzburger Nachrichten, 17.7.1950.
  11. Heinrich Dauner: »Wohin mit dem Paracelsus-Denkmal?«, in: Salzburger Volksblatt, 23.8.1950.
  12. Vgl. Salzburger Volksblatt, 16.8.1950.
  13. Peter Kramml: »Der lange Weg zu einem Paracelsus-Denkmal in Salzburg«, in: 500 Jahre Paracelsus – Nachlese zum Jubiläumskongreß, hg. v. Gerhart Harrer, Wien 1995, S. 86–117.
  14. Vgl. Demokratisches Volkblatt, 22./23.7.1950.
  15. Vgl. Salzburger Nachrichten, 18.7.1950.
  16. Vgl. Salzburger Volksblatt, 24.8.1950.
  17. Vgl. Salzburger Volksblatt, 29.8., 31.8., 1.9.1950.
  18. Karin Schoor: »Thorak im Zwerglgarten«, in: Demokratisches Volks- blatt, 21.7.1950.
  19. Vgl. Salzburger Volksblatt, 9.9.1950.
  20. Vgl. Salzburger Volksblatt, 24.8.1950.
  21. Max Kaindl-Hönig, in: Salzburger Nachrichten, 5.8.1950.
  22. Vgl. Demokratisches Volksblatt, 22./23.7.1950.
  23. Vgl. Schoor, »Thorak im Zwerglgarten«, 1950.
  24. Vgl. Befreit und besetzt. Stadt Salzburg 1945–1955, hg. von Erich Marx, Salzburg 1996.
  25. Jacques Rancière: Der emanzipierte Zuschauer, Wien 2009, S. 99.