Variantenstreit der Großglockner Hochalpenstraße

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Drei der vier Varianten (II, IIa und IIb), die Dr. Rehrl vorschlug. Die vierte Variante wäre nur ein 2,272 m langer Tunnel ins Nassfeld gewesen und dort Einmündung in die oberste und letzte Kehre der Gletscherstraße. Die mit I eingezeichnete Straßenführung stammte von Wallack und wurde letztendlich umgesetzt.
Bildrand unten die Kaiser-Franz-Josefs-Höhe am Ende der Gletscherstraße, einer Stichstraße der Großglockner Hochalpenstraße und im oberen Bildteil Mitte der Pfandlschartensee. Dort hätte Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl ursprünglich geplant, dass die Großglockner Hochalpenstraße aus einem Tunnel von dem dahinter liegenden Ferleitental die Kaiser-Franz-Josefs-Höhe erreichten sollte.
Links oberhalb des Pfandlschartensee befindet sich die Pfandlscharte, unter der Rehrl seine Variante geführt hätte.
Blick auf den Südabschluss des Fuscher Tals, das Ferleitental. Links windet sich die Großglockner Hochalpenstraße, die bereits bis zum Hochmais fertig war. In der geraden Verlängerung des Tals kann man ein Tal erkennen, das zu einer schneebedeckten Scharte führt, der Unteren Pfandlscharte. In diesem Bereich war im Variantenstreit ein Tunnel geplant.

Der Variantenstreit der Großglockner Hochalpenstraße war ein drei Jahre dauernder Streit um die Trassenführung der Scheitelstrecke der Großglockner Hochalpenstraße zwischen dem Salzburger Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl und dem Chefingenieur der Straßenerbauung, Franz Wallack.

Die Hintergründe

Einer der Gründe, weshalb Rehrl in den 1920er- und 1930er-Jahren sich so vehement für den Bau der Großglockner Hochalpenstraße eingesetzt hatte, war die Vision der Errichtung eines Skizentrums in der Glocknergruppe. Dieses sollte mit dieser neuen Straße erschlossen werden. Eine weitere Idee von Dr. Rehrl war, dass diese Straße zur Errichtung einer riesigen Tauernkraftwerkgruppe von jenen Betreibern gebaut und bezahlt werden sollte; dann hätte sie später vom Land Salzburg ohne Kosten übernommen werden sollen und neben der Ausflugsstraßenfunktion auch für das Skigebiet als Zubringer dienen.

Rehrl erkannte, dass in der damaligen Wirtschaftsrezession die Ankurbelung des Fremdenverkehrs (wie schon 1922 mit den ersten Salzburger Festspielen) ein wesentlicher wirtschaftlicher Faktor wäre. Und man kann seinen Intentionen auch entnehmen, dass er ursprünglich Kärnten auch gar nicht an der Nutzung der Großglockner Hochalpenstraße partizipieren hätte lassen wollen (was auch zu seinen Varianten in der Straßenführung zum Ausdruck kam).

Auf die Nutzung der Wasserkraft zurückgreifend ließ er 1928 ein gigantisches Projekt vorbereiten, für dessen Ausführung der Salzburger Landtag schließlich AEG Berlin gewinnen konnte: die Tauernkraftwerke sollten mit jährlich 3,3 Milliarden Kubikmeter Wasser aus dem Gebiet der Zentralalpen im Bereich der Hohen Tauern aus Kärnten, Osttirol und Salzburg 6,6 Milliarden kWh produzieren; 1 250 km Hangkanäle, 80 km Sammelkanäle, 120 km Sammelstollen in rund 2 100 m ü. A. sollten Wasser aus einem Einzugsgebiet von etwa 2 000 km² in drei Mega-Staubecken sammeln und ins Kapruner Tal leiten. Dort sollten zwei Wasserkraftwerke gespeist werden und durch gigantische Stollen - wie zweigleisige Bahntunnels - weiter nach St. Johann im Pongau fließen, wo ein drittes Kraftwerk errichtet werden sollte.

Dieses Projekt war mit 6,6 Milliarden Schilling (1928) veranschlagt gewesen und hätte im Endausbau 6,6 Milliarden kWh Strom erzeugen sollen - zum Vergleich: etwa das 2,75fache an der 1928 bestehenden österreichischen Gesamtstromproduktion!

Kernbestandteil dieses Megaprojekts[1] war aber ein über mehrere Kilometer lange geplanter Stollen durch den Alpenhauptkamm, die die Wassermenge von Kärntner Gebiet nach Salzburg leiten sollten. Demnach auch ein wesentlicher Kostenbestandteil. Würde sich also ein solcher Wassertunnel in Kombination mit einem Straßentunnel in die Projektierung einfügen, wäre dies ein großer Vorteil für Salzburg - und Dr. Rehrl gewesen.

Die erste Variante

In den Jahren 1930 bis 1933 waren die Pfandlscharten der Knackpunkt in der Baugeschichte der Großglockner Hochalpenstraße. In dem gut drei Jahre dauernden Variantenstreit wollte der damalige Salzburger Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl die Straße auf Salzburger Seite von der Hexenküche oberhalb des Ferleitentals zunächst durch den Klobengrat-Tunnel (562 m), dann durch den 2 253 m langen Pfandlscharten-Tunnel zwischen den beiden Pfandlscharten darunter führen. Franz Wallack war aber aus folgenden Gründen dagegen: sehr späte Schneeschmelze erst im Juli oder August, Lawinengefahr und kaum Landschaft.

Kaum war Wallack im Frühjahr 1930 von Kärnten nach Salzburg übersiedelt, bat Rehrl Wallack zu einer Unterredung. Bei dieser legte Rehrl seine eigene Trassenvariante vor: gegenüber Wallacks Trassenvorschlag von 34,5 km langen Strecke sollte Rehrls Variante nur 20,5 km lang sein, durch Lawinengalerien führen und schließlich durch einen über zwei Kilometer langen Tunnel (für das Wasser...) unter der Oberen Pfandlscharte unmittelbar zur Kaiser-Franz-Josefs-Höhe führen. Allerdings betrügen die Baukosten seiner Variante II. um 6,5 Mio. Schilling mehr als jene der Variante I. von Wallack. Und schon Wallacks Variante war schwierig zu finanzieren.

Trotz der Darlegungen Wallacks über die Nachteile dieser Variante, kamen die beiden zu keiner Einigung.

Die Argumente der beiden im Wesentlichen:

Dr. Rehrl: Der Tunnel könnte zum Haupttunnel des gigantischen Kraftwerkprojektes ausgebaut werden, weshalb die Kosten der Errichtung von AEG zu tragen gewesen wären; Rehrl wollte auch die Kärntner vom touristischen Erfolg abschneiden und plante die kürzest mögliche Trasse von Zell am See zur Pasterze; er spekulierte darauf, dass eine kürzere Fahrzeit mehr Tagesgäste anlocken würde; außerdem war er überzeugt, so eine "winterfeste" Zufahrt für sein Projekt Großglockner Skigebiet zu haben.

Wallack hingegen stützte sich auf die Grundvorgabe, die er für die Planung erhalten hatte, möglichst viele landschaftliche Sehenswürdigkeiten und Aussichtspunkte mit in den Verlauf der Panoramastraße einzubinden. Außerdem verliefe die Variante I von Rehrl an nordseitigen Schattenhängen, was eine teilweise sehr späte Schneeräumung und somit spätere Nutzung bedeuten würde;

In Folge wurden von Dr. Rehrl immer und immer wieder anerkannte Fachleute zu Expertisen eingeladen. Diese verschlangen viel Geld. Und alle gaben der Trassenführung von Wallack den Vorzug, sofern sie überhaupt eine Bevorzugung aus diplomatischen Gründen anführten. Erst am 9. August 1933 konnten sich Dr. Rehrl und der Verwaltungsrat, dessen Vorsitzender er war, zur Variante von Wallack durchringen! Doch zu Ereignissen in der Zwischenzeit.

Im Variantenstreit über den Verlauf der Scheitelstrecke übergaben die Gutachter der Ingenieurgeologe Ing. Dr. Stiny (Professor an der Technischen Hochschule Wien) Oberbaurat Dr. Ing. Karl Imhof aus Böckstein zur Beurteilung aller geologischen und tunnelbautechnischen Fragen sowie der Alpinist Oberst Georg Bilgeri ihre Gutachten am 24. September 1931 an den Salzburger Landeshauptmann.

1932 folgten weitere Varianten

Im Februar 1932 überreichte Prof. Dr. Ing. Leopold Örley von der Technischen Hochschule Wien sein Gutachten über die Machbarkeit der beiden Scheitelstreckentrassen im Variantenstreit. Mittlerweile war Dr. Rehrl klar geworden, dass seine erste Variante - der lange Tunnel - unfinanzierbar ist. Er ließ daher neue Varianten ausarbeiten, die in der Zeichnung ganz oben mit II, IIa und IIb gekennzeichnet sind. Wollte man aber eine kürzere Tunnelvariante planen, musste ein Teil der Straße über die Pfandlscharte geführt werden. Dies stieß wiederum auf das Problem, dass die Gletscher nördlich und südlich der Pfandlscharte weit hinunter reichten und ein kürzerer Tunnel nicht höher hinauf verlegt werden konnte. Es entstanden also die Varianten IIa und IIb.

Mittlerweile war die Großglockner Hochalpenstraße im Norden bis Hochmais fertiggestellt. Im Süden fuhr man bereits seit Herbst 1932 auf die Kaiser-Franz-Josefs-Höhe. Aber Rehrl gab nicht auf und fand immer neue Variante, zuletzt eine sogenannte Gamskarlinie.

1933: Der Variantenstreit geht in die letzten Runden

1933, 27. Juni: Auf der im Variantenstreit von Landeshauptmann Rehrl geforderten Trasse auf der Gamskarlinie lag immer noch meterhoch Schnee. Rehrl verlangte trotzdem die Vermessung dieser Trasse.
2. Juli: Die Trassierungsabteilung began auf der Gamskarlinie ihre Arbeit.
4. bis 7. Juli: Wallack und ein Unparteiischer maßen die Schneemengen der beiden Varianten für die Scheitelstrecke:
Wallack-Variante Hochtor: 37 500 Kubikmeter Schnee
Rehrl-Varianten Pfandlschartenlinie: 20 900 und Gamskarlinie 58 300 Kubikmeter Schnee
5. Juli: Die Trassierungsabteilung brach auf der Gamskarlinie ihre Arbeit aufgrund der Schneelagen ab.
16. bis 18. Juli: Die Schneemessungen wurden wiederholt und ergaben für die Wallack-Variante 8 400, für die Variante II 3 200 und für die Variante IIa 30 300 Kubikmeter Schnee
17. bis 30. Juli: Die unterste Strecke der Gamskarlinie bis zur Überquerung der Rückzugsmoräne des südlichen Pfandlschartenkeeses konnte trassiert werden. Dann mussten die Trassierungsarbeiten abermals abgebrochen werden, da das gesamte höher liegende Gelände immer noch tief verschneit war (es war bereits Ende Juli!).
21. Juli: Der Schweizer Sachverständige Kantonoberingenieur A. Scola aus Chur erläuterte am Abend im Hotel Gaisbergspitze Rehrl und Wallack sein Gutachten über die Varianten der Scheitelstrecke. Scola meinte, für eine Touristenstraße dürfte nie das lange Loch des Pfandlschartentunnels gebaut werden (Rehrl-Variante), wenn die Möglichkeit bestünde, zu wesentlich niedrigen Kosten einen ebenso lang befahrbaren offenen Straßenübergang bauen zu können.
24. Juli: Scola, Rehrl und Wallack fuhren mit dem Nachtschnellzug nach Lienz.
25. Juli: Die drei besichtigten die südlichen Anstiegslinien der Pfandlscharten- und Gamskarlinie.
26. Juli: Zeitig in der Früh brachen die drei zusammen mit zwei Bergführern mit Pickel und Seil auf und gingen die gesamte Gamskarlinie ab - der 70-Jährige Scola zeigte sich erstaunlich fit.
27. Juli: Zeitig in der Früh brachen alle von Ferleiten mit einem Pkw auf und fuhren ins Hochmais. Dort bestieg dann aber Scola ein Reitpferd, da er am Tag zuvor doch sehr ermüdet war. Sie schritten und ritten die Hochtorlinie bis Guttal ab und fuhren von dort dann nach Heiligenblut. Wallack wurde klar, dass Scola, ohne noch ein Wort gesagt zu haben, sich für die Hochtorlinie entschieden hatte. Seil und Pickel gegen Reitpferd-Trasse.
29. Juli: In Zell am See teilte Scola vor Rehrl, Wallack und einer Reihe von Ingenieuren des Glocknerstraßenbaues und einem der Fantasie-Schneegutachter (wie Wallack ihn in seinem Buch bezeichnet) seine Entscheidung mit: Die Hochtorlinie ist von den drei Trassen die beste. Rehrl gab sich geschlagen und der Bau der Scheitelstrecke von Hochmais über das Fuscher Törl zum Hochtor konnte endlich begonnen werden.

Weblinks

Quellen

Einzelnachweis

  1. Aber wie oft bei solchen Mammutprojekten, es fehlte schließlich am Geld und eine deutliche magere Version wurde schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg in Form der Tauernkraftwerke Kaprun realisiert
Baugeschichte der Großglockner Hochalpenstraße