Alexander Schallenberg (ÖVP) ist am Dienstag erstmals als Kanzler vor das Parlament getreten. Die Hand in Richtung Koalitionspartner und Opposition sei ausgestreckt, sagte der neue Kanzler. Doch sein Empfang durch die Opposition hätte unfreundlicher nicht sein können: Die FPÖ hatte einen Misstrauensantrag gegen die gesamte türkis-grüne Bundesregierung gestellt. Die SPÖ wollte dem Finanzminister Gernot Blümel das Vertrauen entziehen, beide Misstrauensanträge scheiterten aber erwartungsgemäß.
Begleitet von einer Traube an Fotografen erschienen am Dienstag zwei Gesichter in neuen Funktionen in der Sondersitzung im österreichischen Nationalrat. Nach ihrer Angelobung am Montag haben sich der Bundeskanzler Alexander Schallenberg und der neue Außenminister Michael Linhart erstmals dem Parlament gestellt. In einer Regierungserklärung fand Schallenberg versöhnliche Worte für den grünen Regierungspartner: "Unsere Hand ist ausgestreckt in Richtung unseres Koalitionspartners, um die Gräben, die nun entstanden sind, zu überwinden und die Regierungsarbeit fortzusetzen."
Die Bekämpfung der Corona-Pandemie habe oberste Priorität. Als erfreulich hob der Kanzler den Wirtschaftsaufschwung in Österreich hervor. "Doch dieser Aufschwung soll auch bei den Menschen ankommen. Die Menschen sollen von ihrer Arbeit leben können." Die ökosoziale Steuerreform und der geplante Beschluss zum Budget seien hierfür essenziell. Ebenso sprach Schallenberg das Thema Migration und die damit verbundenen Herausforderungen an: "Ziel soll sein, dass jene Menschen, die seit 2015 ins Land gekommen sind, unsere Sprache lernen und am Arbeitsmarkt integriert werden." Die erste Auslandsreise soll den neuen Kanzler nach Brüssel führen, wo er mit Charles Michel, dem Präsidenten des Europäischen Rates, und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprechen werde.
Ebenso ausgestreckt sei die Hand der ÖVP in Richtung Opposition, sagte Schallenberg. Kein Verständnis zeigte der Neo-Kanzler jedoch für den Misstrauensantrag gegen Finanzminister Gernot Blümel. Das seien "mutwillige Aktionen". Es solle rasch die inhaltliche Arbeit wieder aufgenommen werden. Zum Abschluss hat er alle Vertreter des Hohen Hauses dazu eingeladen, die Regierungsarbeit zu unterstützen - "auch kritisch", wie er sagte, aber in konstruktiver Zusammenarbeit. Abermals betonte Schallenberg, dass er weiterhin mit seinem Vorgänger und jetzigen ÖVP-Klubchef Sebastian Kurz eng zusammenarbeiten werde.
Kogler: "Aufhören zum Sudern, mehr tun"
Auch der grüne Vizekanzler Werner Kogler stimmt mit dem neuen Kanzler überein: "Die Republik braucht jetzt Stabilität, Verlässlichkeit und Orientierung". Doch sprach er auch von Bewährungsproben für die Regierung in den vergangenen Tagen."Ich bin dafür, dass wir aufhören zum Sudern und wieder mehr das Ruder ergreifen." Das Budget, das am Mittwoch beschlossen werden soll, sei hierfür besonders wichtig. Damit seien wichtige Reformen gesichert: für Kindergärten, Digitalisierung in den Schulen, für erste große Reformansätze in der Pflege.
Die Opposition reagiert erwartungsgemäß kritisch: "Wer blind folgt, kann nicht führen", sagte etwa SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Schallenberg solle sich von allen Personen trennen, die im Umfeld der Korruptionsvorwürfe stehen - allen voran von Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Zudem betonte die rote Parteichefin: Er sei Bundeskanzler und nicht Obmann der ÖVP, und daher sei es seine Aufgabe für alle Parteien dieses Parlaments und für alle Menschen in diesem Land da zu sein. Es stehe ihm nicht zu, parlamentarische Instrumente wie den Misstrauensantrag in Frage zu stellen.
Misstrauensanträge von FPÖ und SPÖ scheiterten
Eigentlich wurde die Sondersitzung auf Begehr der gesammelten Opposition einberufen, um Kurz als Kanzler das Misstrauen auszusprechen. Stattdessen gab es eine "Dringliche Anfrage" der SPÖ nach der Regierungserklärung, die sich am Tag vor seiner Budgetrede an Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) als "Teil des System Kurz" richtet. Die Sozialdemokraten stellten einen Misstrauensantrag gegen den Ressortchef. Der Antrag scheiterte aber ebenso wie der Misstrauensantrag der FPÖ: Die Freiheitlichen wollten der gesamten Regierung das Misstrauen aussprechen.
Vertreter von SPÖ, FPÖ und Neos kritisieren den Umstand, dass Schallenberg zu den engsten Vertrauten seines abgetretenen Vorgängers Sebastian Kurz zählt. In seiner ersten Stellungnahme am Montag tat Schallenberg nichts, um diesen Eindruck zu zerstreuen. Im Gegenteil: Der neue Kanzler kündigte an, "selbstverständlich" mit Kurz "sehr eng zusammenarbeiten" zu wollen, das brachte ihm Kritik ein.
Es soll eine Festnahme gegeben haben
Ein Gerücht tauchte am Dienstagvormittag in Medienberichten auf: Eine Meinungsforscherin soll wegen Verdunkelungsgefahr am Dienstag festgenommen worden sein. Es geht um gelöschte Festplatte und Verdunkelungsgefahr. Eine offizielle Stellungnahme gab es dafür aber noch nicht.
Was in den vergangenen Tagen geschah - eine Chronologie:
Die Ermittlungen gegen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein Umfeld wegen Inseratenkorruption erschütterten die türkis-grüne Koalition: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt gegen Kurz und neun weitere Personen wegen des Verdachts der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Am Mittwoch haben Hausdurchsuchungen bei einigen engen Mitarbeitern des Kanzlers, in der ÖVP-Zentrale, im Kanzleramt und im Finanzministerium stattgefunden. Es geht um Gefälligkeitsberichterstattung der "Österreich"-Gruppe im Austausch für Inserate des Finanzressorts sowie aus Steuergeld finanzierte Umfragen, die nur dem Nutzen des späteren Kanzlers gedient hätten. Chat-Protokolle im Ermittlungsakt zeigen, wie eng der Kanzler und Thomas Schmid waren und welchen gemeinsamen Feind sie hatten.
Die Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und Neos forderten sofort geschlossen den Rücktritt von Kanzler Kurz aufgrund der Korruptionsermittlungen. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sagte in einer Pressekonferenz über Kanzler Kurz: "Er kann es nicht mehr ausführen, ohne dass Österreich Schaden nimmt." In der türkisen ÖVP sei jeder Anstand verloren gegangen.
"Regierungskrise, keine Staatskrise"
Die Grünen stellten am Donnerstag die Handlungsfähigkeit des Kanzlers infrage. Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler verwies auf das mutmaßlich korrupte Verhalten des engsten Umfeldes von Bundeskanzler Kurz: "Damit ist eine neue Dimension erreicht. Der Eindruck ist verheerend, der Sachverhalt muss lückenlos aufgeklärt werden", betonte Kogler.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprach am Freitagabend in seiner Rede an die Nation von einer Regierungskrise, es gebe jedoch keine Staatskrise. Van der Bellen appellierte an die Parteien, jetzt nicht auf Eigeninteressen zu schauen, sondern das Handeln einzig am Wohle Österreichs auszurichten.
Am Freitagabend trat Bundeskanzler Sebastian Kurz überraschend vor die Presse. Er blieb dabei aber im Wesentlichen bei seiner Verteidigungslinie. Er und das ÖVP-Team würden weiterhin "handlungsfähig und vor allem handlungswillig" sein, gab Kurz bekannt.
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) gab danach sein Statement vor der Presse ab. Er distanzierte sich darin weiter von Kanzler Kurz und nahm die ÖVP in die Pflicht, für eine weitere Regierungsfähigkeit zu sorgen: "Die ÖVP ist aufgerufen, eine untadelige Person zu finden, die das Amt des Bundeskanzlers ausführen kann."
Die Chat-Enthüllungen und die damit verbundene Regierungskrise haben naturgemäß ein gewaltiges Medienecho generiert. Zeitungen, TV- und Radiostationen sowie Online-Plattformen im In- und Ausland kommentieren die Affäre. Gut kommen Sebastian Kurz (ÖVP) und seine Gefolgschaft erwartungsgemäß nicht davon. Mit besonderer Schärfe gehen deutsche Medien mit Kurz & Co. ins Gericht, immerhin werden Österreichs Türkise gerne als Vorbild für die deutschen Unionsparteien ins Spiel gebracht.
Sebastian Kurz tritt zurück
Am Samstag kam dann der Paukenschlag: Sebastian Kurz hat seinen Rücktritt als Bundeskanzler bekannt gegeben. Kurz will vorübergehend in den Nationalrat wechseln und dort statt August Wöginger als Klubobmann agieren. In dieser kritischen Phase sei es unverantwortlich, in Monate eines Stillstands zu schlittern, so Kurz in seinem Statement am Samstagabend.
"Es wäre auch unverantwortlich, die Regierungsverantwortung in eine Vier-Parteien-Koalition abzugeben, die von Herbert Kickls Gnaden abhängig ist. Es brauche Stabilität und Verantwortung. Mein Land ist mir wichtiger als meine Person", sagte Kurz und bedankte sich zugleich für die Loyalität seiner ÖVP-Regierungskollegen. Kurz weist die Vorwürfe gegen ihn nach wie vor vehement zurück. Als seinen Nachfolger schlug er Außenminister Alexander Schallenberg vor.
Während sich die ÖVP öffentlich für den "selbstlosen" Schritt von Kurz bedankte und Vizekanzler Werner Kogler den Kanzlerwechsel begrüßte, übt die Opposition Kritik: Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger meinte in einem Presse-Statement Samstagabend, in den nächsten Monaten werde das Chaos nahtlos weitergehen: "Als Klubobmann hält er weiter alle Fäden der Macht in seiner Hand." Auch SPÖ und FPÖ sehen das "System Kurz" fortgesetzt. Zudem haben SPÖ, FPÖ und NEOS am Sonntag bestätigt, dass die Vorwürfe gegen die ÖVP und den zurückgetretenen Bundeskanzler Sebastian Kurz auch Thema eines neuen Untersuchungsausschusses im Parlament sein werden. Dabei wird es voraussichtlich nicht nur um die Korruptionsvorwürfe gehen, sondern auch um den in den Chats bekannt gewordenen Umgangston.
"Schattenkanzler" Kurz ist nicht weg - ein Kommentar von SN-Chefredakteur Manfred Perterer.

Sebastian Kurz übernimmt in der nächsten Klubsitzung der ÖVP den Fraktionsvorsitz. Das Alltagsgeschäft wird aber auch künftig vom bisherigen Klubobmann August Wöginger bestritten. Das heißt, dieser wird etwa für die Fraktion am Ministerrat oder den Präsidialkonferenzen teilnehmen.
Rein formal wird Wöginger aber nicht - wie zunächst kolportiert - geschäftsführender Klubobmann sondern nur erster Stellvertreter.
Durch den Einzug von Kurz in den Nationalrat muss Irene Neumann-Hartberger ihr Mandat abgeben. Sie hatte nach der Regierungsbildung Kurz' Sitz übernommen.
Unterdessen sind wieder neue Chats von Kurz und Co. aufgetaucht.
Schallenberg wird Kanzler, Linhart Außenminister
Dem Kanzlerwechsel steht jedenfalls nichts mehr im Weg. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) traf am Sonntag mit dem designierten Regierungschef Schallenberg zusammen und freute sich danach, "ein neues Kapitel in der Regierungszusammenarbeit aufzuschlagen." Das Vier-Augen-Gespräch sei gut und vertrauensvoll gewesen, hieß es von Seiten des Grünen. Sonntagmittag ist Schallenberg noch in der Hofburg vorstellig geworden.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen nahm in einer Ansprache Sonntagabend die neue Regierungsspitze in die Pflicht und entschuldigte sich "in aller Form" bei der Bevölkerung für die Unverschämtheiten, die aus den bekannt gewordenen Chats des Umfelds von Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hervorgehen.
Schallenberg und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hätten ihm versichert, dass es eine tragfähige Basis für eine Zusammenarbeit gebe: "Beide tragen nun persönliche Verantwortung. Sie stehen dem Bürger im Wort."
Am Montag ist Alexander Schallenberg(ÖVP) von Bundespräsident Alexander Van der Bellen angelobt worden. Der Präsident hob in seiner Rede die diplomatischen Erfahrungen von Schallenberg hervor und sagte: "Sie erfüllen die besten Voraussetzungen, die für dieses Amt notwendig sind."
Im Anschluss daran wurde Michael Linhart als neuer Außenminister der türkis-grünen Bundesregierung angelobt. Er war seit 2018 Botschafter in Paris, davor war er viereinhalb Jahre lang Generalsekretär im Außenministerium und galt dort als äußerst versiert. Linhart war auch für den ehemaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) als außenpolitischer Berater tätig.
Schallenberg: "Werde eng mit Sebastian Kurz zusammenarbeiten"
Am frühen Montagnachmittag wandte sich Alexander Schallenberg erstmals als Bundeskanzler an die Republik. Es sei für ihn eine Ehre, als Bundeskanzler angelobt worden zu sein - auch wenn er sich dieses Amt nie gewünscht hätte. "Es war keine Option, abzusagen." Die Menschen in Österreich hätten es sich verdient, dass in der Politik gearbeitet und nicht gestritten werde.
Den Grünen, die Kurz' Ablöse mit aller Kraft vorangetrieben hatten, richtete Schallenberg aus: Damit die Arbeit in der Regierung gelingen könne, "braucht es vor allem gegenseitigen Respekt und gegenseitiges Vertrauen." Was man in den vergangenen Tagen gesehen habe, "war wahrlich kein Beispiel dafür", meint er.
Schallenberg nahm auch zu den kritischen Stimmen Stellung, die von Kurz als "Schattenkanzler" sprechen, der im Hintergrund weiter die Fäden ziehen würde: "Ich werde selbstverständlich eng mit Sebastian Kurz, dem Klubobmann der stärksten Partei im Parlament, zusammenarbeiten", alles andere wäre demokratiepolitisch absurd, sagte der Neo-Kanzler. Er bekräftigte zudem abermals die Unschuld seines Vorgängers: Die gegen Kurz erhobenen Vorwürfe halte er für falsch und er sei überzeugt, dass sich das am Ende auch so herausstellen werde.
Am Montagabend wurde Altkanzler Kurz von der ÖVP-Parlamentsfraktion einstimmig zum Klubchef gewählt. August Wöginger wurde ebenfalls einstimmig zum ersten Klubobmann-Stellvertreter gewählt, teilte die ÖVP in einer Aussendung mit. "Wir werden gemeinsam mit ganzer Kraft für die Menschen in Österreich arbeiten", so Kurz und Wöginger nach der Wahl. Als Abgeordneter angelobt wird Kurz erst am Donnerstag. Er wird somit weder an der Sondersitzung, noch an der regulären Sitzung am Mittwoch, in der Finanzminister Gernot Blümel seine Budgetrede hält, als Abgeordneter teilnehmen.
FPÖ stellt Misstrauensantrag gegen gesamte Regierung
Die Opposition ist mit dem Kanzlerwechsel noch nicht restlos besänftigt. Die FPÖ hat bei der Sondersitzung im Nationalrat am Dienstag einen Misstrauensantrag gegen die gesamte türkis-grüne Bundesregierung gestellt. Auch die SPÖ ergriff die Initiative, wollte aber nur Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) das Misstrauen aussprechen. Beide Anträge fanden erwartungsgemäß keine Mehrheit.
Im Parlament ging es durchaus hitzig zu. Während der Neu-Kanzler Alexander Schallenberg in seiner ersten Rede im Hohen Haus Misstrauensanträge als "mutwillige Aktionen" bezeichnete und abermals seine Nähe zu Vorgänger Sebastian Kurz bekräftigte, betonte er auch den Willen zur konstruktiven Zusammenarbeit mit Koalitionspartner und Opposition: "Unsere Hand ist ausgestreckt."
U-Ausschuss zu ÖVP-Ermittlungen
Die Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und Neos haben sich am Mittwoch auf einen neuen Untersuchungsausschuss zu den Korruptionsermittlungen gegen die türkise ÖVP geeinigt. Dabei soll es auch über die aktuellen Ermittlungen in der Inseratenaffäre hinaus gehen.
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